Ursprung der Kampfkunst
Copyright © by Matayoshi Kobudo Kyokai Germany
Updated 20. August 2002
1. China
Über den Ursprung der waffenlosen Kunst des Kampfes weiss man wenig zuverlässige Informationen. Man nimmt aber an, dass noch vor der Einführung des Buddhismus verschiedene solche Kampfsysteme existiert haben und dass ein Zusammenhang zwischen diesen Systemen und den taoistischen Atemübungen, den Qi Gong besteht. Eine zentrale Bedeutung wird der Einführung des Chan-Buddhismus (jap.: Zen) durch den indischen Mönch Bodhidharma in China um 527 n. Chr. zugemessen.
Bodhidharma, der legendäre 28. Patriarch des Buddhismus, soll die Mönche des Shaolin-Klosters auf dem heiligen in der nördlichen Provinz Honan nicht nur in der neuen buddhistischen Lehre, sondern auch in bestimmten gymnastischen Kampfübungen unterrichtet haben.Seine Übungen (chin.: Shi-pa Lohan-sho, deutsch: die achtzehn Hände des Lohan) gelten gemeinhin als Ausgangspunkt für sämtliche späteren chinesischen Kampfsysteme, die unter dem modernen Begriff Kung-Fu zusammengefasst werden.
Die Nachfolger Bodhidharmas im Shaolin-Kloster bauten die ursprünglich achtzehn Übungen aus und entwickelten sie weiter, wobei sie das charakteristische Angriffs- und Verteidigungsverhalten bestimmter Tiere (Affe, Kranich, Bär etc.) studierten und als Grundlage für unterschiedliche Kampfstile verwendeten. Während der Tang-Dynastie (618 - 906 n. Chr.) erlebte das Shaolin-Kloster seine Blütezeit. Es beherbergte an die 1500 Mönche, von denen mindestens 500 zu den legendenumwobenen Meistern der Kampfkünste zählen.
In seiner wechselvollen Geschichte zählte das Kloster zu den politischen und religiösen Machtzentren des chinesischen Reiches, und seine kampferprobten Mönche wurden ebenso bewundert, wie gefürchtet. Erst 1928 beendeten kriegerische Auseinandersetzungen, bei denen die Tempelgebäude bis auf die Grundmauern niederbrannten, die lange Tradition der Shaolin endgültig. 1983 wurde der Tempel rekonstruiert und dient seither als Touristenattraktion.
Die chinesischen Stile werden in eine nördliche und eine südliche Schule unterteilt. In der nördlichen Schule dominieren hohe Stellungen, schnelle Stoss- und Schlagtechniken, hohe Fusstritte, Sprünge und flüssige Bewegungen. Charakteristisch für die südliche Lehre sind dagegen Fausttechniken und solide, tiefe Stellungen. Eine weitere Einteilung der chinesischen Stile unterscheidet zwischen externen (äusseren) Schulen und internen (inneren) Schulen. Externe Schulen betonen die körperliche Stärke und trainieren deshalb vor allem die Muskulatur.
Diese Schulen führen ihren Ursprung auf die Shaolin zurück und stehen damit in einer buddhistischen Tradition. Die inneren Schulen betonen die Weichheit und Geschmeidigkeit. Ihre Techniken zeichnen sich durch ausweichende und defensive Bewegungen aus. Die Atmung hat eine zentrale Bedeutung. Durch sie werden die inneren Organe gestärkt, wodurch die innere Energie (jap.: Ki) ausgebildet wird. Die inneren Schulen stehen mit diesen Ideen in der taoistischen Tradition.
In Okinawa steht das Shuri-Te unter Einfluss der nördlichen Schule, während das Naha-Te der südlichen Schule folgt. Auch zur näheren Charakterisierung der Kampfkunstschüler bediente man sich in Okinawa und später auch in Japan der chinesischen Bezeichnung. So wurde jener Schüler als ein äusserer Schüler (jap.: Soto-Deshi) bezeichnet, der als offizieller Nachfolger den Platz seines Meisters übernahm und vor allem die technischen und organisatorischen Aspekte eines bestimmten Stils nach aussen vertrat. Ein innerer Schüler (jap.: Uchi-Deshi) bewahrte zwar die philosophischen und religiösen Aspekte seines Stils, blieb aber gegen aussen stets im Hintergrund.
2. Geschichte der Kampfkünste von Okinawa
Der Archipel von Okinawa besteht aus vielen kleinen Inseln, jede mit einem wunderschönen Panorama, einer einzigartigen Kultur und ihrer eigenständigen Geschichte. Im 13. Jahrhundert wurde Okinawa in verschiedene Regionen aufgeteilt, wovon jede durch eigene Gesetze regiert wurde, mit einer zur Kontrolle der angeschlossenen Dörfer errichteten gusuku (Burg). Im Anschluß an viele Kämpfe und Vereinigungen der Hauptstämme (aji), die zwischen dem 13. Und 14. Jhdt. in Erscheinung getreten waren, wurde Okinawa schließlich in 3 kleine Staaten unterteilt – Vereinigungen von Stammesgemeinden – genannt Chûzan (mittleres Gebirge), Nanzan (südliches Gebirge) und Hikuzan (nördliches Gebirge). Im 15. Jhdt. versuchten Sattô, König von Chûzan, Ofusato, König von Nanzan, und Janiji, König von Kokuzan, jeder für seine eigenen Belange diplomatische Beziehungen zu China aufzubauen. Kaiser Chu Yuen Chang aus der Ming-Dynastie erklärte sich bereit, einen persönlichen Gesandten von König Sattô aus der Ryukyu-Dynastie zu empfangen. Gemäß Historikern wurde dieser Empfang vom König erbeten, um die andere Regenten durch dieses Privileg zu beeindrucken. König Sattô sandte seinen Bruder Taiki mit dem Tribut für den chinesischen Kaiser nach China. 1372 wurde die Ryukyu-Dynastie offiziell vom chinesischen Kaiser zum Vasallen Chinas erklärt.
Im Jahr 1429 vereinigte König Shô Hashi die drei Reiche und gründete einen vereinten kleinen Staat (das Königreich Ryukyu). Vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, der goldenen Handelsepoche, entwickelte sich Ryukyu zum Hauptumschlagsplatz zwischen China und den anderen benachbarten Ländern. Kaiser Ming schätzte sich glücklich, mit Okinawa Beziehungen zu unterhalten. Er sandte in zweijährigem Abstand Diplomaten mit Geschenken für den König. Auf Okinawa wurden diesen Delegationen mit großen Ehren in der Residenz des Königs, der Burg Shuri, empfangen. Die chinesischen Gesandten wurden regelmäßig bis 1866 nach Okinawa gesandt, selbst nach der Invasion des japanischen Satsuma-Klans (1609).
Unter diesen Gesandten waren viele chinesische Kempo-Meister und viele hervorragende Ausübende der chinesischen Kampfkünste. Während des Aufenthalts in Shuri und Naha unterrichteten die Chinesen die Adeligen Okinawas und auch Angehörige der nahestehenden Schichten in ihrer Kunst. Bis 1874 sandte die Dynastie der Ryukyu alle 2 Jahre Schiffe mit Delegationen Adliger nach China. Sie waren mit kostbarem Tribut für den chinesischen Kaiser beladen. Zum Schutz vor Piraten waren sowohl die Besatzung als auch die Adligen bewaffnet und in den Kampfkünsten ausgebildet. Folglich war einer der Gründe, warum sich die Kampfkunst in dieser spezifischen Kunst auf einer kleinen Insel wie Okinawa entwickelt hat, durch den Schutz dieser Tributlieferungen gegeben. 1392, während der Regentschaft des Königs Sattô, ließ sich eine chinesische Mönchs- und Handwerkergemeinschaft in der okinawanischen Ortschaft Kume nieder. Dadurch wurde die Bevölkerung dieses Ortes für den Handel und die Kommunikation zwischen Okinawa und China federführend. Unter den verschiedenen Aufgaben, die sie ausführten, waren die Erstellung von diplomatischen Dokumenten und Führer-, Botschafter- und Übersetzerarbeiten. Die Chinesen von Kume lehrten die Bewohner des Ortes chinesisches Kempo. Einige der Adligen aus Okinawa, die nach China gesandt wurden, ließen sich dort für einige Zeit nieder und studierten das chinesische Kempo an Schulen vor Ort. Zu dieser Zeit regte der König von Okinawa eine Ansiedlung von Okinawanern in der Provinz Fujian an, um eine Beherbergunsmöglichkeit für die zu bieten, die zum Studieren kamen. Als Folge davon wurde das chinesische Kempo während der Ära des Königs Sattô auf Okinawa von Chinesen und Okinawanern, die die Kunst in China studiert hatten, schnell eingeführt.
Aus diesem historischen Szenario wurde eine einheitliche Form des Okinawa Karate (früher ti genannt) und des Okinawa Kobudo geschaffen und festgelegt (kodifiziert). Die Beziehungen zwischen Okinawa, China und anderen Ländern des asiatischen Südostens haben zur Entwicklung und Perfektionierung dieser alten Verteidigungskünste in der uns heute bekannten Form beigetragen. Während der Epoche des Königreiches Ryukyu wurde das Karate, das sich in der Gegend von Shuri entwickelte und praktiziert wurde, Shuri-te genannt. Die Verteidigungstechnik, die sich im Handelszentrum von Naha entwickelte, wurde Naha-te genannt und die Kombination zwischen beiden Tomari-te, hergeleitet von Tomari, einer Örtlichkeit, die zwischen Naha und Shuri gelegen ist. In jeder dieser Gegenden entwickelten berühmte bujin (Selbstverteidigungs-Experten) diese Tradition und übermittelten sie ihren Nachfolgern. Diese Tradition hat sich bis heute fortgesetzt. Sowohl Karate wie auch Kobudo wurden von den Adligen verboten und deren Techniken wurden geheimgehalten; niemals wurde hierüber etwas schriftlich festgehalten. Die Technik der verschiedenen bujin wurde an die Nachfolger durch direkte Unterweisung und mündliche Überlieferung übermittelt. Nachdem Okinawa offiziell zur japanischen Präfektur erklärt wurde, haben neue Gesetze den Schleier des Geheimnisses von diesen Disziplinen genommen und das Unterrichtssystem der Meiji-Ära (1868-1912) hat Karate und Kobudo als Teil des Leibeserziehungsprogramms an Schulen übernommen. Seit damals werden Karate und Kobudo öffentlich vorgeführt und während der Taisho-Ära (1912-1926) wurden sie auf den Hauptinseln Japans eingeführt. In der Showa-Ära (1926-1988) breitete es sich in der übrigen Welt aus.
Nach dem 2. Weltkrieg (1945) hat sich das Karate von Okinawa in drei Hauptstile geteilt: Gojuryu, Shorinryu und Uechiryu. Gegenwärtig gibt es viele Ryuha (Stile) und Kaiha (Vereinigungen) mit ihren verschiedenen Stilen und Techniken; Karate und Kobudo von den jeweiligen Ryuha und Kaiha haben ihre eigenen Kata (Übungen der Form), von denen sich logischerweise alle Angriffs- und Verteidigungstechniken ableiten. Das strenge Training entwickelt starke physische und geistige Präsenz und trägt dadurch zum Wohl der Gesellschaft bei. Karate und Kobudo haben die Erziehung stark beeinflußt. Sie können als Sport oder Selbstverteidigungskünste praktiziert werden. Die verschiedenen Elemente und Charakteristiken, die Karate und Kobudo in der ganzen Welt populär gemacht haben, haben die Inspiration in aber Millionen von Herzen eingepflanzt. Heute können wir sagen, daß Karate und Kobudo ein Geschenk Okinawas an die ganze Welt darstellen.
3. Japan
Während der Meiji-Ära (1868 - 1912) normalisierte sich die Beziehung zwischen Japan und Okinawa, und 1879 wurde Okinawa zu einer offiziellen Provinz Japans. Damit verloren auch die Kampfkünste Okinawas allmählich den Mythos des Geheimnisvollen und traten an die Öffentlichkeit. Die relativ rasche Verbreitung des Karates in Japan geht auf einige wichtige Persönlichkeiten aus Okinawa zurück. Die Ehre, als eigentlicher Vater des modernen Karates zu gelten, gebührt Gichin Funakoshi (1869 -1957), dem Gründer des Shotokan-Ryu.
Er ging 1921 als erster nach Japan und setzte sich, vor allem von Tokyo aus zeitlebens für die Popularisierung des Karates ein. Auf seine Initiative hin wurde 1936 die Bedeutung des Namens Karate von "China-Hand" (jap.: kara, deutsch: Tang-Dynastie => Synonym für China) in "Leere Hand" (jap.: kara, deutsch: leer) geändert. Nach 1930 entstanden in Japan zahlreiche neue Karatestile. Die wichtigsten dieser Stile sind: Shotokan-Ryu, Shitoryu, Wadoryu und Gojuryu.