Das "Trainingsproblem"

Ein Essay von Kensho Furuya. Erschienen in der Zeitschrift Kampfkunst International
Hrsg.: BUDO International Publishing Co., 2000, Heft 07, S.22f.
Verlag KAMPFKUNST International S.L. Redaktionsbüro Deutschland: Tel: 02304-243159

Es ist möglich, sich gegen einen Faustangriff wirkungsvoll zu verteidigen, doch einen Angriff auf unseren Geist erfolgreich zu überstehen stellt uns vor ein großes Problem. Wir müssen unseren Geist genauso wie unseren Körper schützen. Körper und Geist erfordern das gleiche Maß an Aufmerksamkeit und Pflege. Warum halten wir das Dojo sauber? Im Grunde existiert kein Grund zum Putzen. Doch als menschliche Wesen wissen wir, dass sich alles in makellosen Zustand befinden muss. Wir sind stets bemüht positive Aspekte in unserm Training zu finden, doch kaum einer, der auch nur eine Minute über die Probleme mit der selben Intensität nachdenkt. Ich beziehe mich dabei nicht auf unsere Mühen unsere Kampfkunst immer wieder ein Stückchen besser zu beherrschen, sondern auf jene Fallen und Enttäuschungen, wenn unser Bemühen, unser Training vom eigentlichen Weg abweicht oder wir die korrekte Form schlichtweg falsch interpretieren.

Das Training ist ein zweischneidiges Schwert! Die Kampfkünste können und sollen uns als menschliche Wesen zu neuen und höheren Bewusstseinsebenen führen. Ihnen ist aber auch die Fähigkeit inhärent, unsere mentale Evolution zu stören, ja sogar sie aufzuhalten und unsere Perspektive zu verzerren. Die Kampfkunst kann uns auch dazu verleiten unsere Energien in wenig erstrebenswerte Werte zu stecken, die sich unter den Kleid der ‘wahren Kampfkunst“ verstecken. Ich schrieb einmal einen Artikel für meine Schüler, der den Titel trug “Trainiere mich so hart es geht, verletzt dabei aber nicht meine Gefühle!‘ Ich fühlte mich zu diesem Artikel durch ein Erlebnis mit einem Schüler bewogen und es schien, dass ich mit diesem Artikel ein sehr viel delikateres Thema anschnitt, als ich es vermutete denn meine Thesen fanden keineswegs ein positives Echo. Jener Schüler, der mich zu meinem Artikel veranlasste, erreichte ein ziemlich hohes Niveau, war aber stets bemüht, mich immer mehr beeindrucken zu wollen.

Er gab zu jeder sich bietenden Gelegenheit bekannt, dass er eigentlich noch zu sehr viel mehr imstande sei und sagte im gleichen Atemzug wie hart das Training in den anderen Kampfkünsten, die er vorher trainierte, gewesen sei. Er gab mir durch die Blume zu verstehen, dass er in der Lage sei jede Prüfung, und sei sie noch so hart, zu ertragen. Eines Tages bat er mich sogar ausdrücklich darum, ihn härter als alle anderen Schüler zu trainieren. - Er könne alles ertragen. Ich beschloss daraufhin herauszufinden wie groß sein Selbstvertrauen ist. Während des Unterrichts korrigierte ich bei ihm auch den kleinsten Fehler und zeigte mich nicht zufrieden, bis er die Technik absolut perfekt ausführte. Immer wenn ich sah, dass er nicht sofort umsetzte, was ich ihm sagte, zeigte ich ihm unmissverständlich meine Unzufriedenheit mit seiner Leistung. Nach diesem Tag kam er plötzlich nicht mehr zum Unterricht. Er erklärte seinen Freunden, dass ich ihm einschlechtes Gefühl während des Unterrichts vermittelte. Ich hätte ihm sehr gerne darauf folgendes geantwortet: ‘Als du von hartem Training gesprochen hast, hast du dich also nur auf die Physis bezogen?!“ Wenn man es sich recht überlegt, ist es schon kurios: Ein Mensch ist ohne weiteres in der Lage, sich jeden Tag an seine körperlichen Grenzen zu treiben und genießt es auch noch. Doch der geringste zum Ausdruck gebrachte Zweifel über seine Fähigkeiten bringt ihn völlig aus dem Konzept. Der Zweifel und die Nichtanerkennung scheinen unser innerstes zu berühren und können dort großen Schaden anrichten. Warum? Ein Koch achtet auf saubere und scharfe Messer. Ein Maler bewahrt seine Pinsel geordnet an einen sauberen Platz auf. Ein Kampfkünstler achtet auf einen ordentlichen und sauberen Dojo. Genau wie wir jeden Tag unseren Körper waschen und pflegen, müssen wir uns auch um unseren Geist kümmern. Jemand nannte einmal einen Trainingspartner von mir einen “Dummkopf“. Mein Freund lächelte und sagte: “Da haben Sie völlig recht. Ich bin ein Dummkopf und Sie?“ In diesem Augenblick konnte jeder erkennen, wer in Wirklichkeit hier der Dummkopf war.

Wir sind vielleicht in der Lage, einen Faustangriff oder sogar einen Messerangriff abzuwehren, doch existieren Angriffe, die unverhofft aus unvermuteter Richtung kommen. Was nützt uns unser ganzes Training, wenn unsere kampfkünstlerischen Fähigkeiten durch eine einfache Kritik plötzlich wie weggeblasen sind? Der Schüler, den ich erwähnte, hatte großes Selbstvertrauen, besonders von seinen körperlichen Fähigkeiten war er überzeugt. Allerdings war er dumm genug, in eine von mir aufgestellte Falle zu tappen. In einer derartige Situation wäre ein wahrhaftig selbstbewusster Schüler in der Lage gewesen, den Spieß umzudrehen, genau wie es mein Freund tat. Beschränken Sie also Ihr Training nicht nur auf Ihre Arme und Bein! Schulen Sie auch Ihren Geist!

Nach jedem Unterricht säubern meine Schüler das Dojo. Ein Besucher sagte mir einmal: Es sieht so aus, als ob deine Schüler mehr putzen als trainieren‘. Ein Krieger der im feudalen Japan eine bestimmte Kriegskunst erlernen wollte, sich also auf der Suche nach einem Dojo machte, und sah, dass schon der Eingang des Dojo schmutzig und ungepflegt war, ging ohne viel Aufhebens weiter zum nächsten. Noch heute würde ein Mensch, der sich zum Mönchsleben berufen fühlt, keinen Fuß über die Schwelle eines Klosters setzen, das auch nur den Anschein geringster Nachlässigkeit zeigt. Auf einer meiner Japanreisen besuchte ich auch einige Werkstätten, wo man den japanischen Schwertern ihren typischen Schliff verleiht und sie poliert. In einer der Werkstätten waren die Lehrlinge recht ‘leger gekleidet und tranken während die Arbeit. In einer anderen hingegen war alles und jeder in makellosen Zustand. Nirgends auch nur die Spur von Staub. Für einen normalen Besucher hätte vielleicht alle gleich ausgesehen, doch einem geschulten Auge fiel der Unterschied sofort auf. Früher hingen jene Dojos, die sich ihrer Makellosigkeit sicher waren, ein Symbol vor die Tür das aus dem Bild einer Sichel, Einer Reisschale und dem phonetischen Zeichen ‘Nu bestand. Was sollte das bedeuten? Man muss alles zusammen lesen: Kama (Sichel), Wan (Reisschale) und Nu – Kamawanu, was soviel bedeutet wie: „Tritt ein, wenn du willst. Du störst uns nicht“.

Ich hatte einmal einen Schüler, der sich weigerte nach dem Unterricht das Dojo zu putzen. “Dass ich putzen muss, richtet sich gegen meine Menschenwürde.‘ ... “Was für eine wunderbare Ausrede‘, antwortete ich ihm, “... und jetzt putz bitte das Dojo.“ Den Trainingsraum zu säubern ist eine Form von Disziplin und somit Trainingsbestandteil. Wir waschen uns das Gesicht und putzen uns die Zähne, jeden Tag und selbst Könige und Staatschefs tun es. Also ist es nur logisch auch das Dojo, wo wir trainieren, sauber zu halten. Im Fall der Kampfkünste handelt es sich dabei nicht nur um objektiv erkennbare Sauberkeit, sondern auch um mentale Reinheit. Das bedeutet, dass auch der Akt des Putzens die richtige Geisteshaltung, Demut und Respekt erfordert.

Der Zen-Großmeister Sawaki Kodo sagte: “Das Training ist wie furzen. Es ist etwas, das man nur selbst tun kann. Etwas, das dir keiner abnehmen kann‘. Zu sagen, dass ein Furz wie die Erleuchtung ist, mag etwas grobschlächtig erscheinen, dennoch ist es typisch Zen, wenn auch etwas exzentrisches Zen. Wenn wir die zu erfüllenden Aufgaben im Dojo als Arbeit auffassen, mag das in uns gewisse Aversionen schüren, nichtsdestotrotz sind sie Bestandteil des Trainings und sollten demnach auch als solches aufgefasst werden. Das hat mit der Menschenwürde zunächst nichts zu tun. In diesem Vorgang liegt der Schlüssel zu verantwortungsbewusstem Handeln. Wenn wir also uns selbst überwinden, besser gesagt unser “Selbst“ überwinden, wird unser wahres Ich offenbar. Trainieren Sie nicht nur hart, sondern hart und korrekt! Eine Zen-Weisheit sagt, dass wir 80 Prozent unserer Zeit verschwenden. Das Training zeigt uns, wie wir diese 80 Prozent besser nutzen können.

Probleme und Hindernisse wird es immer geben, genau deshalb ist das Training von so großer Bedeutung.